Atemphysiotherapie beim Säugling mit neudiagnostizierter Cystischer Fibrose( CF)

Die cf-spezialisierte Kinderphysiotherapie ist in der CF-Behandlung ein wichtiger Therapiepfeiler und als solcher unmittelbar nach Diagnosestellung anerkannt. Mit der frühen Diagnosestellung durch das seit 2011 in der Schweiz etablierte Neugeborenen-Screening beginnt die Physiotherapie in einem interdisziplinären Setting (Pneumologin, CF-Nurse, Ernährungsberaterin, Psychologin, Sozialarbeiterin und Physiotherapeutin) meist bereits in den ersten Lebenswochen oder beim hospitalisierten Säugling mit CF-Säugling und mit Mekoniumileus in den ersten Lebenstagen.

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Unabhängig davon, ob ein durch das Neugeborenen-Screening erfasster Säugling mit CF Symptome wie Husten, Sekret, Dyspnoe zeigt oder nicht, können bereits Entzündungen, Infekte und Strukturveränderungen des Lungengewebes nachzuweisen sein. [1,2].

Die Rolle der Physiotherapeutin ist es die Bezugspersonen des Säuglings langsam, dosiert  an die täglichen ventilationsverbessernden und  sekretmobilisierenden Übungen heranzuführen. Nebst der Instruktion der alters-,entwicklungsangepassten und befundorientierten Behandlungsmassnahmen ist es Aufgabe der Physiotherapeutin, die Bezugspersonen auf mögliche Symptome eines Infekte zu sensibilisieren. Zudem steht die Physiotherapeutin den Bezugspersonen bei Fragen und beim Verarbeitungsprozess bezüglich Krankheitsbild zur Seite (link Vermittlung von Wissen&Handlungskom.).

Bisher sind wenig wissenschaftliche  Daten über spezifische Techniken der Atemphysiotherapie beim Säugling bekannt. Man geht davon aus, dass eine regelmässige Unterstützung  der Mucoziliären Clearance durch physiotherapeutische Massnahmen  die Entwicklung einer  chronischen Lungenveränderung verzögert [3,4].

Über die Lungenentwicklung beim gesunden und beim kranken Säugling liegen wissenschaftlich, fundierte Erkenntnisse vor. In den nun folgenden Erläuterungen werden einzelne wichtige Aspekte der Lungenentwicklung und der darauf aufbauenden Atemphysiotherapie beim Säugling erklärt:

Lungenentwicklung: Lungenanatomie- und -physiologie [5].

«Kinder sind nicht kleine Erwachsene». Diese Aussage ist in der Kindermedizin selbstverständlich und gilt ganz besonders auch für Säuglinge.

Vereinfacht gesagt sind beim Säugling alle an der Atmung beteiligten Körperstrukturen wesentlich weicher und elastischer als bei  älteren  Kindern und Erwachsenen. Die meisten Strukturen sind bei Geburt beziehungsweise bereits während der Schwangerschaft zahlenmässig schon vollständig angelegt. Mit der voranschreitenden Entwicklung des Kindes reifen und wachsen diese  noch.

Die Bronchien beispielsweise adaptieren  sich in den ersten Lebensjahren noch in Länge und Durchmesser. Die Anzahl der Alveolen, welche bei der Atmung den Gasaustausch ermöglichen, ist beim neugeborenen Kind noch gering.  In den ersten 6 Lebensmonaten vermehrt sich die Alveolenzahl und ist mit 2 bis 3 Jahren abgeschlossen. Die Muskelfasern des Zwerchfells  entwickeln sich im Laufe der ersten 8 Lebensmonate von rasch ermüdbaren zu widerstands- und leistungsfähigeren Muskelfasern.

Beachtliche Unterschiede gibt es auch in der Lage und  Form des Brustkorbes.

Die Rippen eines Neugeborenen stehen noch deutlich waagrechter und das Zwerchfell flacher als bei einem älteren Kind. Der Brustkorb des Neugeborenen ist sehr elastisch und wenig ossifiziert; der knöcherne Gegenhalt als Voraussetzung für eine ökonomisierte Atmung fehlt dem Säugling noch weitgehend. Bei erhöhten Anforderungen an die Atemarbeit (z.B. bei Infekt) können eine Atemwegskompression und in der Folge eine Ermüdung des Zwerchfells auftreten. Um den Bronchialbaum möglichst offen zu halten und die Belüftung der Lungen zu gewährleisten, setzt der Säugling physiologischerweise verschiedene Kompensationsmechanismen ein: schnellere Atmung, Verengung des Kehlkopfes und konstante Aktivierung der inspiratorischen Muskelaktivität (d.h. der Brustkorb steht physiologischerweise vermehrt in einer Einatemstellung).

Neugeborene und Säuglinge atmen vorwiegend durch die Nase. Sie können bei einer verstopften Nase nur beschränkt auf eine Mundatmung umstellen. Nach dem 1. Lebensjahr  wird die Mundatmung laufend wirkungsvoller.

Mit der Haltungs – und Bewegungsentwicklung einhergehend werden Thorax und Wirbelsäule stabiler und geben der Lunge mehr Halt; der gesamte Atemapparat wird robuster:

Beispiele:

·    Indem der Säugling  strampelt, seine Beine anhebt oder sich zur Seite dreht, stärkt er seine Rumpfmuskulatur.

·    In der weiteren Entwicklung kräftigt er beim Spielen aus Bauchlage den Schultergürtel, indem er sich auf die Unterarme / Arme stützt;

·    mit der Aufrichtung aus dem Liegen übers Sitzen ins Stehen wird die Bauchmuskulatur immer aktiver, es erfolgt eine Caudalisierung der Rippen. Position, Ausdehnung und Aktivität des Zwerchfelles gleichen sich dem erwachsenen Zwerchfell an (Kuppelform).

Sekretmobilisation/ Ventilationsverbesserung

Da Studien mit Säuglingen schwierig durchführbar sind, basieren die physiotherapeutischen Behandlungsmassnahmen auf den langjährigen Erfahrungen und Erkenntnissen der Physio-und pathologie sowie auf Konsensus von spezialisierten Schweizer CF-Physiotherapeutinnen und behandelnden CF-Ärzten.

Reinigung der oberen Atemwege:

Für eine möglichst unbeeinträchtigte Atmung als Vorbereitung zur Inhalation und nachfolgenden Bewegungsübungen, ist die sanfte Reinigung der oberen Atemwege wesentlich und begünstigt ein einwandfreies Funktionieren der Flimmerhärchen; dabei sollten die Schleimhäute aber nicht verletzt werden. Flüssiges Nasensekret kann beim Säugling mit einem weichen Papiertuch äusserlich entfernt  werden. Bei verkrustetem Sekret kann eine Nasenspülung mit physiologischer Kochsalzlösung 0.9% oder ein paar Tropfen Muttermilch durchgeführt werden. Die Anwendung von abschwellenden Nasentropfen sollte nur in Absprache mit der behandelnden Ärztin durchgeführt werden.

Die Inhalation ist die ideale Vorbereitung für die darauf folgenden passiven und aktiven atemtherapeutischen Massnahmen.

Eine individuelle Vernebler -und Maskenversorgung  ist wichtig und muss der Grösse des Kindes  entsprechend laufend evaluiert und neu angepasst werden.

Für eine bestmögliche Deposition der Medikamente durch die Inhalation soll der Säugling  ruhig und entspannt atmen können. Dabei ist die Ausgangsstellung /Position des Kindes eine wichtige Voraussetzung. Für eine optimale Ventilation sollen  Kopf und Rumpf  möglichst in der Körperlängsachse positioniert sein. Die Maske muss satt am Gesicht liegen und Mund und Nase gut umschliessen. Damit  das Medikament mit optimalem Flow in alle Lungenareale transportiert wird, soll das Kind wenn möglich wach sein[6], keine einengenden Kleider tragen und nicht weinen (allenfalls Nuggi bis max.12. Mt. geben[7]).

Die Medikamente, deren Dosierung und Verabreichungsform werden durch die behandelnde Pneumologin verordnet und in der Regel mittels eines Feuchtverneblers inhaliert.(siehe Bild)

Lagerung / Lagewechsel / Ausgangsstellung

Durch variierende Körperlagen im Bett (immer in Übereinstimmung mit den SIDS-  Empfehlungen), beim Tragen oder in der Spielsituation (Rückenlage/Seitlage/Bauchlage/ gehaltener Sitz) entstehen wechselnde intrabronchiale Druckschwankungen, die zur Sekretmobilisation ausgenützt werden können. Zur Sekretmobilisation und zur Belüftungsverbesserung beim Säugling stehen also häufiges Umlagern und Positionswechsel auf dem Arm im Vordergrund.

Eine ältere Studie hat gezeigt, dass bei einem in Seitlage gelagerten Säugling eine statische und dynamische Belüftung in den obenliegenden regionalen Lungenarealen stattfindet und für eine Sekretmobilisation ausgenützt werden kann[8]. Im Gegensatz dazu findet eine dynamische Belüftung, im Erwachsenenalter bedingt durch  vermehrte Kaliberschwankungen der Bronchien, vor allem in den untenliegenden, schwerkraftabhängigen Lungenarealen statt [9].

Kontaktatmung

Die manuelle Begleitung der Atembewegung am Brustkorb und des Bauchraumes soll insbesondere bei Neugeborenen und Säuglingen bis zirka zum 6. Lebensmonat ohne Druck und äusserst vorsichtig angewendet werden (hohes Risiko für Atemwegskompression bei geringen physiologischen Kompensationsmöglichkeiten).

Später kann die manuelle Unterstützung eine dosierte Einatmung auf Sekretniveau ermöglichen oder aber eine Ausatmung beschleunigen und vertiefen. Das Ziel ist es, das Sekret von peripher nach zentral zu befördern.

Thoraxdehnung

Die Belüftung der Lunge kann mit Rumpfdehnungen aus verschiedenen Ausgangsstellungen unterstützt werden. Beim Neugeborenen erfolgt die Rumpfverlängerung vorwiegend passiv, je aktiver ein Säugling ist, desto aktiver können die Dehnsequenzen gestaltet werden.

Aktivierung der Brust –Schultergürtel-und Bauchmuskulatur

Früh übt sich...: Förderung der körperliche Aktivierung im Sinne der normalen Entwicklung kräftigt und festigt den Rumpf und bereitet auf eine regelmässige körperliche / sportliche Betätigung vor, die bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen erwiesenermassen einen positiven Effekt auf die körperliche Leistungsfähigkeit und vermutlich auch auf die Lungensituation hat [10].

Die Übungsauswahl ist durch die behandelnde Kinderphysiotherapeutin individuell auf das Alter, den Entwicklungs-, den allgemeinen und den krankheitsbedingten Zustand des Kindes abzustimmen. Kenntnisse über die entwicklungsbedingten unterschiedlichen lungenphysiologischen Voraussetzungen eines Säuglings müssen bei der Behandlung berücksichtiget werden. Die Beobachtungskriterien müssen der behandelnden Physiotherapeutin bekannt sein, damit sie situativ die Massnahmen anpassen  und die behandelnde Ärztin bei Veränderungen (z.B. Infekt) informieren kann.

Die Übungsvorschläge erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sind nicht abschliessend zu sehen. Sie werden laufend an neue medizinische Erkenntnisse und allfällige neue Aussagen durch Studienuntersuchungen angepasst.

Es ist Aufgabe der spezialisierten Kinderphysiotherapeutin, die Therapieziele in Absprache mit der zuständigen Kinderpneumologin und gemeinsam mit den Bezugspersonen festzulegen und sie bei Bedarf anzupassen. Dazu ist ein ständiger Austausch mit Eltern/Bezugspersonen und Ärztinnen unerlässlich.

Wir empfehlen die Bewegungstherapie im Anschluss an die Inhalationstherapie bei nicht symptomatischen Säuglingen 1-2x täglich in allen Körperstellungen, bei Säuglingen mit Symptomen häufiger. Die beste Zeit ist jeweils vor den Mahlzeiten oder  mindestens 1 Stunde nach der Mahlzeit.

Voraussetzungen für die physiotherapeutische Betreuung von Säuglingen mit CF oder andern obstruktiven Erkrankungen der Atemwege sind eine kinderspezifische und eine atemtherapeutische Zusatzausbildung (link Kursangebote).

 

Quellen

[1]

Armstrong DS, Grimwood K, Carlin JB, et al. Lower airway inflammation in infants and young children with cystic fibrosis. Am J Respir Crit Care Med. 1997;156:1197-204.

 

[2]

Khan TZ, Wagener JS, Bost T, et al. Early pulmonary inflammation in infantswith cystic fibrosis. Am J Respir Crit Care Med. 1995;151:1075-82.

 

[3]

Lannefors L, Button BM, McIlwaine M. Physiotherapy in infants and youngchildren with cystic fibrosis: current practice and future developments. J R Soc Med. 2004;97 Suppl 44:8-25.

 

[4]

[263] Merelle ME, Schouten JP, Gerritsen J, et al. Influence of neonatal screening and centralized treatment on long-term clinical outcome and survival of CF patients. Eur Respir J. 2001;18:306-15.

 

[5]

Latzin P, Roth S et al: Lung volume, breathing pattern and ventilation inhomogenity in preterm and term infants. 2009

 

[6]

Esposito-Festen J, Ijsselstijn H, Hop W, van Vliet F, de Jongste J, Tiddens H: Aerosol therapy bypressured metered-dose inhaler-spacer in sleeping young children, do or not to do? Chest 2006,130: 487-492

 

[7]

Amirav I, Luder A, Chleechel A, Newhouse MT, Gorenberg M: Lung aerosol deposition in sucklinginfants. Archives of disease in childhood, 2012 Jun;97(6):497-501. doi: 10.1136/archdischild-2011-301236. Epub 2012 Feb 23

 

[8]

Davies H,Helms P,Gordon J.Effect of posture on regional ventilatoin in children.Pediatr. Pulmonol 1992;12:227-32

 

[9]

West JB. Pulmorary pathophysiology.4th ed. Baltimore:William and Wilkins; 1992

Rieger Ch, Hardt H, Sennhauser F.H., Wahn U, Zach M.S.: Der gesunde Respirationstrakt. Pädiatrische Pneumologie, Springer Verlag, 2004

Frey U: Anatomical and developmental respiratory physiology in health and preterm infants and those with respiratory disease

Frey U: Anatomische und funktionelle Entwicklung der Lunge beim Säugling

Hammer J: Notfälle im Kindesalter

Maggie McIllwaine: Lung Physiology

Hammer J: Respiratorische Notfälle - Warum sind Säuglinge anfälliger? Praxis 1999, 88: 1035-1037

Flehming I: Normale Motorische Entwicklung des Säuglings

Peters A: Das Vojta-Prinzip

 

[10]

Flume P et al. Respir Care 2009;54(4): 522–537